Learning Together: Lanolin - toller Allrounder oder unterschätztes Risiko?

 
 

Wenn es um Kontaktallergien geht, steht kaum ein Inhaltsstoff so oft im Fokus wie Lanolin, ein Rohstoff, der seit Jahrzehnten in Salben, Cremes, Lippenpflegeprodukten und Brustwarzensalben eingesetzt wird. Immer wieder liest man, Lanolin habe ein hohes Allergiepotenzial und solle deshalb unbedingt gemieden werden.
Doch ist das wirklich so eindeutig?

Die Antwort ist komplexer, als es auf den ersten Blick scheint. Und genau darum geht es in dieser Ausgabe der Learning Together Serie: Wir werfen einen Blick darauf, was die Wissenschaft tatsächlich über Lanolin weiß, warum seine Rolle bei Kontaktallergien nicht so klar ist, wie häufig behauptet wird und worauf du bei der Auswahl von Produkten achten solltest.

Lanolin - was steckt dahinter?

Lanolin (auch bekannt als Wollwachs) ist ein komplexes Gemisch aus Wachsestern, Fettsäuren, Sterolen und langkettigen Alkoholen, das aus der Wolle von Schafen gewonnen wird. Genauer gesagt handelt es sich um ein Sekret, das aus den Talgdrüsen der Schafe abgesondert wird und die Wolle wasserabweisend und geschmeidig hält.

Das erklärt auch, warum Lanolin als Rohstoff in kosmetischen Formulierungen eingesetzt wird:

  • Es wirkt okklusiv und schützt die Hautbarriere.

  • Es besitzt weichmachende Eigenschaften und verbessert die Textur von Cremes und Salben.

  • Es kann als Co-Emulgator eingesetzt werden und die Stabilität von Emulsionen unterstützen.

Allergen des Jahres 2023 - warum das nicht das ganze Bild zeigt

Im Jahr 2023 wurde Lanolin von der American Contact Dermatitis Society (ACDS) zum „Contact Allergen of the Year“ ernannt, ein Titel, der zunächst alarmierend klingt.
Doch diese Auszeichnung bedeutet nicht, dass Lanolin automatisch ein starkes Allergen ist. Und genau das ist der Fall: Seine potenzielle allergene Wirkung ist nicht so eindeutig belegt, wie es in vereinfachten Darstellungen häufig erscheint.

Lanolin = hohes Allergierisiko? Nicht unbedingt.

Viele der Studien und Patchtests, auf die sich Aussagen über ein mögliches Allergierisiko stützen, weisen erhebliche methodische Schwächen auf, die ihre Aussagekraft deutlich einschränken. Zu den häufigsten Problemen zählen:

  • Uneinheitlich zusammengestellte Patientengruppen

  • Verwendung unterschiedlicher Lanolinpräparate

  • Nicht standardisierte Testbedingungen

  • Und: eine geringe Reproduzierbarkeit von Patchtests, d. h. die Ergebnisse fallen bei Wiederholungen nicht immer gleich aus

Eine Studie, in der identische Patchtests an zwei Körperstellen durchgeführt wurden, zeigte zum Beispiel bei 8 % der Teilnehmenden widersprüchliche Ergebnisse.

Für Lanolin selbst lag diese Diskrepanz bei lediglich 0,8 %.

Diese Daten zeigen: Lanolin kann allergen wirken, muss es aber nicht. Die wissenschaftliche Datenlage ist wesentlich komplexer und weniger eindeutig, als häufig angenommen.

Das „Lanolin-Paradoxon“ - wenn eine Substanz beides kann

Eines der spannendsten Phänomene rund um Lanolin ist das sogenannte „Lanolin-Paradoxon“. Es beschreibt die Beobachtung, dass Lanolin bei ein und derselben Person Allergien auslösen kann oder eben nicht, abhängig vom Zustand der Haut:

  • Auf intakter Haut wird Lanolin meist sehr gut vertragen und kann sogar die Barrierefunktion unterstützen.

  • Auf geschädigter oder entzündeter Haut kann es dagegen zu Überempfindlichkeitsreaktionen kommen.

Genau dieser Unterschied macht es so schwierig, Lanolin pauschal als „gut“ oder „schlecht“ einzuordnen. Die Wirkung hängt immer vom individuellen Hautzustand und dem jeweiligen Produktkontext ab.

Nicht jedes „Lanolin“ ist gleich

Wichtig ist außerdem: Hinter der INCI-Bezeichnung „Lanolin“ können sich sehr unterschiedliche Rohstoffe verbergen - darunter auch hochgereinigte Spezialqualitäten wie HPA® Lanolin (Highly Purified Anhydrous Lanolin).

Dieses hochgereinigte Lanolin wird in mehreren Schritten aufbereitet. Dabei werden:

  • Verunreinigungen, Pestizidrückstände und Restproteine nahezu vollständig entfernt.

  • Pro-oxidative Begleitstoffe eliminiert, wodurch sich das Oxidationsprofil verbessert.

Das Ergebnis: ein deutlich niedrigeres Risiko für Hautreaktionen und eine höhere Stabilität, selbst bei empfindlicher oder vorgeschädigter Haut.

Alternativen - pflanzlich und/oder vegan

Wer Lanolin dennoch vermeiden möchte - zum Beispiel aus veganen oder persönlichen Gründen - hat heute zahlreiche Alternativen:

  • Petrolatum (Vaseline) und Paraffinum Liquidum (Mineral Oil) wirken stark okklusiv und schützen die Hautbarriere effektiv. Beide gelten als vegan, da sie aus Erdöl gewonnen werden.

  • Pflanzliche Alternativen wie Candelillawachs, Sheabutter oder Jojobaöl können Lanolin ebenfalls ersetzen, erreichen jedoch meist nicht alle funktionellen Eigenschaften gleichzeitig.

Wichtig ist deshalb, sich zunächst zu überlegen, welche Funktion Lanolin in einem Produkt erfüllen soll und dann gezielt eine passende Alternative auszuwählen.

was du dir merken kannst

  • Lanolin ist weder der „böse Allergieauslöser“, als der es oft dargestellt wird, noch ein völlig unproblematischer Rohstoff. Die Wahrheit liegt - wie so oft - dazwischen.

  • Die aktuelle Studienlage erlaubt keine pauschale Aussage, dass Lanolin automatisch ein hohes Allergierisiko birgt.

  • Seine Verträglichkeit hängt maßgeblich von der Qualität des Rohstoffs, der Gesamtformulierung und vom Zustand der Haut ab.

  • Hochgereinigte Varianten wie HPA Lanolin können das Risiko deutlich reduzieren.

  • Wer Lanolin vollständig meiden möchte, kann auf vegane und/oder pflanzliche Alternativen zurückgreifen.

Genau hier zeigt sich wieder, warum Hautpflege keine Schwarz-Weiß-Welt ist: Inhaltsstoffe müssen immer im Kontext betrachtet werden - nicht isoliert und nicht pauschal bewertet.

Quellen:

  1. Bourdillon, K., McCausland, T. & McCabe, M. Multi-residue analysis of certain lanolin nipple care products for trace contaminants. BMC Chemistry 17, 8 (2023). https://doi.org/10.1186/s13065-023-00919-0

  2. Kligman AM. Lanolin allergy: crisis or comedy. Contact Dermatitis. 1983 Mar;9(2):99-107. doi: 10.1111/j.1600-0536.1983.tb04314.x. PMID: 6851544.

  3. Lis, K. Hypersensitivity to Lanolin: An Old–New Problem. Life 2024, 14, 1553. https://doi.org/10.3390/life14121553

  4. Lanolin: The 2023 American Contact Dermatitis Society Allergen of the Year
    Hadley Johnson, BS; Thomas Norman, BA; Brandon L. Adler, MD; JiaDe Yu, MD. Cutis. 2023 August;112(2):78-81. DOI: https://doi.org/10.12788/cutis.0825