Learning Together: Retinoide in der Hautpflege: Retinol vs. Retinal

 
 

Retinoide gehören zu den am besten untersuchten Wirkstoffen in der Kosmetik. Sie gelten als Goldstandard in der Anti-Aging-Pflege, weil sie nachweislich die Zellerneuerung fördern, die Kollagenproduktion anregen und Hautstruktur wie feine Linien verbessern können.

Doch nicht jedes Retinoid wirkt gleich – entscheidend sind die chemische Struktur, die Umwandlungsschritte in der Haut und die Stabilität der Formulierung.

1. Retinoide und ihre Umwandlungsschritte

Damit Retinoide ihre volle Wirkung entfalten, müssen sie in Retinsäure umgewandelt werden – die aktive Form, die direkt mit den Hautrezeptoren interagiert.

  • Retinol → benötigt zwei Umwandlungsschritte (Retinol → Retinal → Retinsäure).

  • Retinal (Retinaldehyd) → benötigt nur einen Schritt zur Umwandlung in Retinsäure.

Theoretisch bedeutet das, dass Retinal stärker wirken sollte als Retinol. In der Praxis hängt die Effektivität jedoch von mehreren Faktoren ab – vor allem der Stabilität und der Gesamtformulierung des jeweiligen Produkts.

2. Retinal ist sehr instabil

Retinaldehyd ist ein empfindlicher Wirkstoff, der leicht oxidiert und in wässrigen Formulierungen schnell zerfällt (nach 24 Stunden ca. 40 % Abbau).

Daher werden in der Produktentwicklung moderne Stabilisierungstechniken genutzt wie:

  • Verkapselung in Liposomen

  • Cyclodextrin-Komplexe

  • Doppelte Verkapselungssysteme (z. B. HP-β-CD + Liposomen)

Studien zeigen, dass doppelt verkapseltes Retinal deutlich stabiler ist als unverarbeitetes Retinal.

3. Retinol vs. Retinal – was ist effektiver?

Retinal ist näher an der aktiven Retinsäure – doch „näher dran“ bedeutet nicht automatisch effektiver.

Ein schlecht formuliertes Retinal-Produkt kann weniger wirksam sein als ein gut stabilisiertes Retinol-Produkt.
Entscheidend ist immer die Gesamtformulierung:

  • Stabilisierung

  • Verkapselungssysteme

  • Lösungsmittel

  • pH-Regulierung

  • Antioxidantien & Konservierungsmittel

4. Studienlage: Ist Retinal wirklich 10-mal effektiver?

Eine häufig zitierte Annahme besagt, dass Retinal bis zu 10-mal effektiver sei als Retinol. Doch die Evidenzlage dazu ist schwach.

  • In einer 8-wöchigen Studie wurden Cremes mit 0,05 % und 0,1 % Retinol mit 0,05 % und 0,1 % Retinal direkt verglichen (Split-Face-Design).

  • Ergebnis: Beide Seiten verbesserten Hautparameter wie Faltentiefe, TEWL (Wasserverlust) und Hautfeuchtigkeit.

  • Die Retinal-Seite zeigte tendenziell stärkere Verbesserungen – aber:

    • Kein statistisch signifikanter Unterschied bei allen Parametern

    • Keine klaren Hinweise, dass Retinal milder wirkt als Retinol

Fazit: „10-mal effektiver“ oder „signifikant milder“ konnte nicht bestätigt werden.

5. Weitere klinische Daten

Eine weitere 3-monatige Studie mit 40 Frauen verglich 0,05 % vs. 0,1 % Retinal-Cremes.

  • Beide Konzentrationen verbesserten Hautbild, Textur, Feuchtigkeit und TEWL.

  • Es gab keine signifikanten Unterschiede zwischen 0,05 % und 0,1 %.

  • Lediglich die 0,1 %-Formulierung zeigte einen positiven Einfluss auf den Melanin-Index.

6. Wichtige Erkenntnisse

  • Mehr % ≠ automatisch wirksamer: Ein 0,05 %-Produkt kann effektiver sein als ein 0,2 %-Produkt, wenn es besser stabilisiert ist.

  • Preis ≠ Stabilität: Auch günstige Produkte können stabilisiertes Retinal enthalten.

  • Formulierung ist entscheidend: Retinal ist nicht gleich Retinal. Unterschiedliche Trägersysteme führen zu völlig unterschiedlicher Wirksamkeit und Verträglichkeit.

  • Kontinuität ist wichtiger als Konzentration: Regelmäßige, gut verträgliche Anwendung bringt mehr als ständiges Wechseln und Steigern.

7. Fazit: Retinal – vielversprechend, aber kein Wundermittel

Retinal ist zweifellos ein spannender Wirkstoff. Aber: Aussagen wie „10-mal effektiver“ oder „immer milder“ lassen sich auf Basis der bisherigen Studien nicht zuverlässig bestätigen.

Zusammenfassend:

  • Retinal kann wirksam sein, wenn es stabilisiert und sinnvoll formuliert ist.

  • Retinol bleibt ebenfalls eine bewährte Option – es lohnt sich nicht, Produkte nur aufgrund von Trends auszutauschen.

  • Entscheidend sind die Gesamtformulierung, Stabilisierung und die persönliche Hautverträglichkeit.

8. Produktmöglichkeiten:

  • Geek & Gorgeous - A-Game

  • Isana - Retinal Overnight Cream

  • The Ordinary - Retinal Emulsion

  • Medik8 - Crystal Retinal

  • Paula’s Choice - Dual-Retinoid

Studien:

Kim, S. J. et al. (2016). Double encapsulation of retinals by liposome-in-hydroxypropyl-β-cyclodextrin for stability enhancement. Colloids Surf B Biointerfaces, 145: 751–757.
→ Zeigt, dass doppelt verkapseltes Retinal deutlich stabiler ist als unverarbeitetes Retinal.

Morganti, P. et al. (2016). Anti-aging activity of retinol and retinaldehyde: Evidence-based review and future perspectives.J Appl Cosmetol, 34: 17–28.
→ Review, das zeigt: klinische Daten zu Retinal sind noch begrenzt, Stabilität und Formulierung sind entscheidend.

Creidi, P. et al. (1998). A double-blind controlled study of the activity of retinaldehyde in skin aging. Dermatology, 196(3): 314–319.
→ 8-wöchige Split-Face-Studie mit Retinol vs. Retinal. Beide wirksam, Retinal etwas stärker, aber keine „10-fache“ Überlegenheit.

Sorg, O. et al. (2006). Retinoids in cosmeceuticals: Retinaldehyde, a precursor of retinoic acid, demonstrates anti-aging and anti-acne properties. Dermatology, 213(3): 174–182.
→ Bestätigt Wirksamkeit von Retinal, aber keine 10-fache Potenz.

Lee, D. H. et al. (2016). Randomized, double-blind, split-face study of the effects of retinaldehyde vs retinol on photoaged skin. J Cosmet Dermatol, 15(4): 450–456.
→ Keine signifikanten Unterschiede zwischen 0,05 % und 0,1 %, beide wirksam, 0,1 % hatte zusätzlichen Effekt auf Pigmentierung.